Nationalismus als Tugend (Yoram Hazony)

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Autor: Michael P.

Nein – ein großer Freund der Deutschen ist Yoram Hazony nicht. Warum es sich dennoch lohnt, den 2018 erschienen, vielbeachteten Titel „The virtue of nationalism“ zu lesen, möchte ich im Folgenden begründen. Hazony ist Jude, Zionist und unter anderem Präsident des Herzl Institutes in Jerusalem sowie eine feste Größe in der konservativen Szene der USA. Er nimmt ein heißes Eisen in die Hand, wenn er den so gründlich verfemten Begriff des Nationalismus aus der Paria klaubt, ordentlich abstaubt und ihn dann auch noch als den Musterweg für ein friedliches Zusammenleben der Völker dieser Erde verkaufen will. Man hört regelrecht die empörte Schnappatmung liberaldemokratischer one-world-Fetischisten auf beiden Seiten des Atlantiks, ob dieses Frevels.

Apropos Liberalismus, an dem läßt Hazony kein gutes Haar und demaskiert ihn als imperialistische, totalitäre Ideologie, die er in eine historische Rangfolge mit unter anderem Katholizismus, Islam, Nationalsozialismus und Kommunismus rückt. Dabei spannt er ein bipolares System auf: Im einen Extrem steht der Imperialismus, eine überstaatliche Ordnung, die mehrere Nationen und Völker umspannt und die universale Werte postuliert, zu der andere bekehrt werden, ob diese wollen oder nicht. Historische Beispiele hierfür existieren zahlreich – etwa das römische oder das osmanische Reich und natürlich die Europäische Union. Auf dem anderen Pol verortet Hazony die – wie er es bezeichnet – tribalistische Anarchie. Es ist ein System von Clans und Stämmen, wie man sie sich in der Frühgeschichte der Menschheit vorstellen kann. Referenzpunkte sind hier ausschließlich Herrschaftsverhältnisse und Loyalitäten zwischen einander persönlich bekannten Menschen. Es existiert keine unabhängige Rechtsordnung und es ist eine barbarische Welt permanenter Konflikte und kriegerischer Auseinandersetzungen. Kulturelle Blüte kann sich in dieser Anarchie nur zu einem geringen Grad entfalten.

Genau in der Mitte zwischen diesen Antipoden steht für den Autor der Nationalismus. Der Nationalismus gewährt seinen Stämmen die Freiheit sich in einem gegebenen Rahmen zu entfalten. Zugleich steckt er ein Rechtssystem ab, das ein friedliches und gerechtes Zusammenleben gewährleistet. Der Nationalstaat unterhält intensive ökonomische, diplomatische und zuweilen militärische Beziehungen zu seinen Nachbarn, ohne dass er imperialistische Gelüste hegen würde. Seine Glaubens- und Wertvorstellungen, seine Traditionen und Gebräuche bewahrt er ohne der Versuchung zu erliegen den gesamten Planeten damit gewaltsam missionieren zu müssen. Er verteidigt seine staatliche Souveränität und erklärt allen supranationalen Organisationen, die er als Imperialisten im Schafsfell ausmacht, eine klare Absage. Dazu schützt er wirksam seine Grenzen und strebt ein Gleichgewicht im Machtspiel der Nationen an.

Israel ist für Hazony wenig überraschen die Blaupause für diesen Nationalstaat. Die Feinde Israels sind für ihn allesamt Imperialisten, wie er wortreich über viele Kapitel herleitet. Was den israelischen Nationalismus angeht, so führt der Autor schlüssige Argumente ins Feld. Diese sind auch in der deutschen Rechten nicht unbekannt. Gleichwohl ist der omnipräsente Zionismus auf Dauer ermüdend, ebenso wie die immer wiederkehrende Bezugnahme auf das alttestamentarische Volk Israels. Dieses sei sozusagen die Inkarnation des Nationalismus in Reinform. Hier vermisse ich die kritische Distanz und Unparteilichkeit. Das gilt ebenfalls für die flammende Verehrung der alten protestantischen Nationen in Europa wie den Niederlanden oder Großbritannien. Denen steht ein diffuses römisch-deutsches Reich gegenüber, welches sich von Karl dem Großen bis Ursula von der Leyen befleißigt die braven Holländer und Briten unter seine imperialistische Knute zu zerren. Nicht völlig falsch, wird dieses Schema der historischen und politischen Komplexität jedoch nicht im Ansatz gerecht. Zu holzschnittartig, zu sehr von Sympathien und Antipathien geprägt sind Hazonys Ausführungen in diesen Passagen. Mag sein, daß dies seiner vorrangig amerikanischen Leserschaft geschuldet ist.

Trotz dieser deutlichen Kritik, überwiegt die Güte der abstrakten Ausführungen zu einer aktuellen Theorie des Nationalismus im Mittelteil des Buches. Diese sind leichtverständlich formuliert, ohne ins Banale abzugleiten. Sie bilden den eigentlichen Mehrwert der Lektüre, die mich unterm Strich zu einer Lese-Empfehlung gelangen läßt. Wohl wissend, daß dem für einige im deutsch-freundlichen Lager, gewisse grundsätzliche Ressentiments entgegenstehen dürften. Hier zeigt sich einmal mehr, daß Der Dritte Blickwinkel und der Sonnenkreuz-Versand nicht nur auf Gefälligkeitsliteratur setzen, sondern vor kontroversen Titeln nicht zurückschrecken, die an der deutschtümelnden Komfortblase rütteln. Das bedeutet dann, daß man auch einmal das Buch eines Mannes liest, der kein großer Freund der Deutschen ist.