Vom Sein und Wesen der Zeit am Beispiel der Kaffeemühle
Kaffee- anstatt Gebetsmühle. Das hat einen Mehrwert.
Autor: Andreas Hörnlein
„Gewöhnliche Menschen überlegen nur, wie sie ihre Zeit verbringen. Ein intelligenter Mensch versucht, sie auszunutzen.“
Arthur Schopenhauer
Zeit, was ist Zeit? Ist es bloß ein großer und ein kleiner Zeiger auf einer runden Scheibe, genannt Uhr, welche unseren Alltag taktet, gliedert, einsortiert? Oder ist doch größer, nämlich der Anbeginn alles Seienden bis zu seinem Ende? Rationale Menschen würden entgegnen, dass Zeit lediglich eine Ressource ist, beinahe schon eine Währung. Wer genügend Zeit hat, seiner Arbeit nachzugehen, beispielsweise ein alleinstehender Abteilungs- oder Projektleiter, der ohne familiäre Verpflichtungen in der Lage ist, sich gut und gerne 10,12 Stunden am Tage alleinig nur seinem Auftragsgeber zu widmen, ist effizienter als der Vater oder die Mutter, die nicht mehr als die vertraglich vereinbarten Wochenstunden ableisten muss. Solche Menschen erkennen tragischerweise nicht das Gefängnis, das sie bereitwillig betreten haben. Es ist ein Kerker ohne Zimmerdecke, damit der Puppenspieler über dem Menschen seine Fäden und damit die Puppe tanzen lassen kann.
Ein Mensch, der sich selbst nicht mehr erkennt und schon gar nicht, wer oder was ihn dirigiert. Ein Mensch, der nicht mehr weiß, was ihm außer seiner Arbeit noch bleibt. Ein Mensch, der sich im Laufe seines Lebens bereitwillig bis zu einem Zustand aushöhlen lässt, bis dass er nur noch eine Kontonummer ist, ein Konsument, eine Hülle seiner selbst.
Dieser verbrauchende Mensch, der Homo consumens, ist die Arbeitsdrohne des 21. Jahrhunderts. Sein Leben ist diktiert vom Terminkalender, von seinem Schichtplan, von den Öffnungszeiten der Supermärkte und Boutiquen und vom Fernsehprogramm. Bevor er seiner Lohnarbeit nachgeht, drückt dieser Hominide zeitgemäßer Prägung frühmorgens den Schalter seines Wasserkochers, befüllt derweil seinen Becher mit minderwertigem Krümelpulver, das nur entfernt an richtigen Kaffee erinnert, sitzt am Küchentisch mit müden Lidern und glotzt voller Abscheu auf den Chronographen, der dräuend überm Türrahmen der Küche thront und der ihm signalisiert, wie viele Schlucke der koffeinhaltigen Schlacke ihm bis zur Stechuhr verbleiben, die ihm den gierigen Takt des Hamsterrades namens freie Wirtschaft auferlegen.
Aus diesem Kreislauf aus Arbeit, Konsum, Schlaf und Sklaventum muss ausgebrochen werden, will ein Mensch nicht zur seelenlosen Hülle verkümmern. Sich selbst auszubremsen, den leichten, den breiten Pfad verlassen, bringt für die Seele so viel mehr Erfüllung, als die vermeintliche Karriere in einem Großkonzern, für den jeder einzelne Angestellte nichts anderes als eine Personalnummer ist. Ein gesellschaftskritischer Deutscher, dem an Geld, Karriere, Posten nichts liegt und dessen Gedanken sich zuvorderst um die gegenwärtige Situation seines Heimatlandes und seines Volkes drehen, muss unweigerlich zu der Erkenntnis kommen, dass ein solches Leben nicht erfüllend sein kann. Mir kamen diese Gedanken nicht zum ersten Male, doch als ich das erste Mal die Kaffeemühle aus Frank Kraemers Sonnenkreuz-Versand nebst Kaffeebohnen auspackte und mir meinen allerersten, selbst gemahlenen Kaffee zubereitete (stilecht dazu mit heißem Wasser aus dem Pfeifenkessel und nicht aus dem Plastikwasserkocher) dachte ich so bei mir, dass diese Art und Weise, seinen Kaffee zu kochen, so herrlich simpel und doch bodenständig ist.
Es war mir eine wahre Wohltat, einmal nicht in Windeseile per Knopfdruck wie bei einer Senseo-Maschine zu meinem Kaffee zu gelangen, stattdessen mit einem gewissen zeitlichen und körperlichen Aufwand. Eben wie zu einer Zeit, in der Geld und Karriere noch nicht die höchste treibende Kraft eines Menschen gewesen ist, als man seine Wäsche noch im Zuber wusch, seine Feldfrüchte aus der eigenen Erde zog und das einzige Informationsmedium noch die Wochenzeitung gewesen war. Eine bessere Zeit, eine langsamere Zeit. Eine Zeit, in der man noch die Früchte eigener Arbeit zu schätzen wusste, als es noch keine Warenhäuser mit vollen Regalen gab. Sicherlich ein beschwerlicheres Leben als das, was wir heute führen, aber muss es dafür gleich ein schlechteres sein? Ich sage Nein und kann nur jedem einzelnen Menschen raten, sich dieser Knochenmühle der modernen Wirtschaft zu entziehen und vielleicht einfach mal wieder seinen Kaffee selber zu mahlen.