Unsterblichkeit

 
Materie vergeht, doch niemals die Energie.

Materie vergeht, doch niemals die Energie.

Autor: Michael P.

Unsterblichkeit – obschon in vielfacher Hinsicht trivialisiert und überbeansprucht, hallt der Begriff noch stets im Inneren des Empfindsamen nach. So sehr uns die Idee von Unsterblichkeit sprachlos hinterläßt, so vielfältig sind die Vorstellungen davon, wie diese zu erreichen sei. Gerade im deutschfreundlichen Lager scheint es mir den Anschein zu haben, daß sich hier die Geister scheiden. Und das interessanterweise nicht nur entlang der bekannten Kontinentalplatten Heidentum, christliches Abendland und Agnostizismus/Humanismus. Wer beispielsweise die dritte Ausgabe des Werkkodex sorgfältig gelesen hat, dem ist nicht entgangen, daß die Artgemeinschaft grundsätzlich nicht von einem metaphysischen Fortbestand des Einzelnen über die biologische Existenz hinaus ausgeht – gleichwohl stellt sie es aber scheinbar ihren Mitgliedern frei, dies anders zu halten. Unsterblichkeit ist dann schnell gleichgesetzt mit der Vererbung, den eigenen Nachkommen und der Generationen überspannenden Blutlinie. So sehr ich dieser Vorstellung ebenfalls anhänge, greift sie mir doch zu kurz.

Über die Unsterblichkeit zu sinnieren ist etwas, das vermutlich jedem zum komplexen Denken befähigten Menschen in seinem Leben unterläuft. Aber es sind die Wendepunkte, die Krisen, die diese theoretischen Erwägungen urplötzlich auf den harten Boden der Tatsachen aufschlagen lassen und erst in der Notlage zeigt sich deren Wert und Beständigkeit. In meinem Fall ist es die schwerwiegende Erkrankung eines Freundes, die mich - und sicher auch ihn – zwingt, meine Vorstellung von Unsterblichkeit auf den Prüfstand zu stellen. Und die erste große Einschränkung steht gleich zu Beginn meiner Überlegung. Unsterblichkeit kann es nicht geben, denn selbstverständlich ist jeder Mensch, jedes Lebewesen, vermutlich sogar jede Form von Materie endlich und somit unweigerlich sterblich. Jeder von uns stirbt. Kann ich deshalb den Text an dieser Stelle abschließen? Glücklicher Weise nicht, denn vielleicht reicht es schon, wenn wir den Begriff etwas verfeinern. Statt Unsterblichkeit, schlage ich hier Übersterblichkeit vor. Ich werde ohne den geringsten Zweifel sterben, aber das bedeutet noch lange nicht, daß ich den Tod nicht überdauern kann, daß es mir nicht gelingt, meine Existenz in einer neuen Form fortzuführen.

Für viele Kulturen rund um den Erdball ist Wiedergeburt ein Kernelement der Jenseitsvorstellung – in der Regel in Verbindung mit einer tiefen Ahnenverehrung. Den Glauben der nordeuropäischen Menschen der Vorzeit meinen wir umfassend begriffen zu haben und doch bleibt vieles bei näherer Betrachtung unklar und nur schwer auf unser heutiges Leben übertragbar. Natürlich wollen wir alle nach Walhalla, um zu Ragnarök in der Front der Einherjer in die sichere Vernichtung zu schreiten, wohlwissend, daß die Sonne des goldenen Zeitalters dann bereits aufgeht und der Weltenzyklus von Neuem beginnt. Und so heilig mir diese Dinge sind, so sehr bedürfen sie doch für mich einer persönlichen Interpretation. Andreas Mang stellt in seinem Buch „Aufgeklärtes Heidentum“ unter anderem die ebenso interessante wie schlüssige These auf, daß der würdige Tod, der für unsere Vorfahren offensichtlich höchste Bedeutung besaß, sich durchaus nicht nur auf das eisenzeitliche Schlachtfeld beschränkt. Der Kampf gegen eine tückische Krankheit verlangt ebenso Mut, Stärke und Opferbereitschaft.

Varg Vikernes vertritt in seinen diversen Publikationen den Standpunkt, daß die urzeitlichen Menschen unserer Art eine sehr konkrete und streng ritualisierte Idee von Reinkarnation hatten. Alte Mythen und Märchen bieten nach Vikernes sowie seiner Frau Marie Cachet den Schlüssel zum Verständnis dieser Idee. Demzufolge fand die Reinkarnation erst im Alter von sieben Jahren statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Kind bereits viele Altersgenossen überlebt und zahlreichen Gefahren getrotzt. Es zog dann alleine in den Grabhügel seiner Vorfahren um dort die Selbsterkenntnis zu erfahren, wessen Wiedergeburt es sei. Wer hier tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem empfehle ich „Secret of the She-Bear“ von Marie Cachet. Die Quintessenz ist meiner Auffassung nach, daß ein Begriff von Unsterblichkeit tief in unseren Wurzeln verankert ist und daß wir vor der Christianisierung unseres Kontinents tausende, möglicherweise zehntausende von Jahren davon ausgegangen sind, daß der Tod nicht das Ende unserer Existenz ist. Und das geht ausdrücklich über die abstrakte Vorstellung hinaus, daß man schon „irgendwie“ in seinen Nachfahren fortbesteht. Nein – es ist der klare Glaube daran, daß das konkrete Individuum in neuer Gestalt innerhalb einer Blutlinie wiederkehren kann. Kann – das ist wichtig. Denn fester Bestandteil dieses Glaubenskonstruktes ist es ebenfalls, daß nur derjenige unsterblich wird oder besser bleibt, der sich als würdig erweist. Unsterblichkeit ist folglich kein Automatismus sie ist ein hohes Verdienst. Ein Lebensziel, welches der Einzelne durch sein Handeln erringen will.

Ich finde dieses Konzept großartig, denn es spendet einerseits Trost und gibt einem für die gesamte Existenz Halt. Und zum anderen ist es Ansporn, nie im Streben nachzulassen, das persönliche Potential zu entfalten und das Eigene zu bewahren. Sobald man den Blick über eine Lebensspanne hinaus weitet, relativiert sich vieles. Denn ob unsere Menschenart und mit ihr jedes einzelne ihrer würdigen Geschöpfe überdauert ist keine Frage von wenigen Jahrzehnten. Wenn wir uns bewußt auf diesen uralten Pakt mit der Ewigkeit einlassen, wenn wir auf die Weisheit unserer Vorfahren vertrauen, dann ist Unsterblichkeit – oder Übersterblichkeit – real. Oder, um es mit den Worten von Frank Kraemer zu sagen: 

„Und richtet die Blicke nach vorn

Ich werde als Sohn meines Volkes

Noch tausendmal wieder geboren.“ 

(„Unsterblich“ aus dem Halgadom-Album „Äon des Hammers“)