Sümpfe des Siechtums – ein Abendspaziergang
Autor: Michael P.
Erbrochenes, Urin, Schweiß – noch bevor die Rolltreppe mich vollends aus der Unterführung auf die Straße befördert, steigt mir penetranter Gestank in die Nase. Mit jeder stählernen Stufe, die vor mir im Boden verschwindet, weitet sich mein Sichtfeld. Soweit das Auge reicht ein Bild des Ekels. Zerlumpte Gestalten suhlen sich im eigenen Dreck. Zitternde Hände hantieren mit blutigen Spritzen. Rissige Lippen ziehen an Crack-Pfeifen. Babylonisches Sprachgewirr, wütendes Schreien und irres Lachen aus zahnlosen Mäulern übertönt den sonstigen Großstadtlärm. Ich wähne mich in einem Fleisch gewordenen Alptraum aus einer Höllen-Ansicht von Hieronymus Bosch.
Fast zwei Jahre sind seit meinem letzten Besuch in Frankfurt vergangen. Wann immer möglich meide ich die selbsternannte Main-Metropole. Doch an diesem Abend bin ich mit einem alten Freund, der einige Tage in der Stadt weilt, zum Essen verabredet. Halb aus Neugier halb gegen meine eigene Intuition entscheide ich, den Weg vom Hauptbahnhof zum Restaurant zu Fuß zurück zu legen. Ich bin hier früher bereits gelegentlich vorbei gekommen und es war schon immer ein Jammerbild. Aber was sich mir jetzt offenbart, sprengt meine schlimmsten Erwartungen. Mitten in einer der reichsten Städte Deutschlands, in den Schatten der gläsernen Bank-Paläste breitet sich ein Panoptikum der Widerwärtigkeit aus. Junkies, Huren, Penner – der Übergang ist an diesem Ort fließend. Wo man früher zumindest noch um die Elendskreaturen herumsteigen konnte, okkupieren sie nun im flackernden Rotlicht der Laufhäuser komplette Bürgersteige. Es bleibt dem Passanten keine Wahl, als sich mitten durch das schmutzige Gewürm eine Bresche zu bahnen. Es scheint, als seien selbst die orientalischen Betreiber der omnipräsenten Döner-Buden, Shisha-Bars und Wechselstuben hilflos, ob dieser Flut der Verlorenen, die ihnen die Ladeneingänge blockiert und die Kundschaft vergrault. Ein Sündenpfuhl babylonischen Ausmaßes, den ich nach einigen Straßenzügen mit raschen Schritten so schnell wie möglich hinter mir lasse.
Dabei hämmert mir ein Gedanke unbarmherzig gegen die Stirn: Nichts mehr zu holen. Unrettbar verloren. Vertreter der Staatsgewalt habe ich jedenfalls keine erspäht. Offensichtlich teilt die Stadt Frankfurt meine Resignation.
Mit wachsender Verzweiflung beschleicht mich der Vergleich zum Zustand des Vaterlandes. Ist die Analogie so weit hergeholt? Liegt das Volk nicht in gewisser Weise ebenso im Unrat, betäubt, gelähmt – und krepiert langsam am eigenen Rausch, während die Götzen der Globalisierung voll kalter Verachtung auf es herabblicken? Verraten und ignoriert von den Bütteln eines Systems, das sich restlos dem Willen auswärtiger Mächte unterwirft? Gebeutelt und geschändet von Heerscharen fremder Glücksritter und Ganoven? Die Kloake von Frankfurt mag in ihrer Krassheit einzigartig scheinen – sie ist im Prinzip leider ein Sinnbild für viele – vor allem westdeutsche – Ballungszentren. Gerade vor dem Hintergrund der jüngst wieder intensivierten Sezessions-Debatte in rechten Kreisen muss man wohl konstatieren, dass wir etliche Gebiete bereits irreversibel verloren haben. Wer das wie ich nicht täglich unmittelbar vor Augen hat, der kann leicht das Ausmaß und vor allem die Geschwindigkeit dieses totalen Untergangs unterschätzen. Unvorstellbar, dass ich meine Kinder jemals alleine diesen Moloch betreten lassen würde.
Diese Erkenntnis darf uns aber nicht kapitulieren lassen. Jedes Stück geraubte Heimat muss unsere Entschlossenheit festigen, die letzten Zufluchtsorte zu verteidigen – räumlich, kulturell, sprachlich, politisch und auch ethnisch. Während offenkundig weite Teile der Republik fröhlich in die eigene Vernichtung tanzen, gilt es die verbliebenen Redlichen und Rechtschaffenden zusammen zu führen. Interne Grabenkämpfe, Distanzierungs-Debatten, Haarspalterei sind ein Luxus, den wir uns längst nicht mehr leisten können. Wer daran zweifelt, soll gerne mal an einem Samstagabend durch das Frankfurter Bahnhofsviertel flanieren.