Der Weg in die innere Welt - Die Heimkehr des Otto Rahn (Ariane Beyer)
Autor: Michael P.
Otto Rahn – um diesen schillernden Mann, Schriftsteller, Forscher, Grenzgänger und Wegbereiter ranken sich noch über achtzig Jahre nach seinem – angeblichen – Tod zahlreiche Legenden. Kein Wunder, hatte sich Rahn doch Zeit Lebens keinem geringeren Thema verschrieben als dem Gralsmythos. In ihrem Roman „Der Weg in die innere Welt“ spinnt Ariane Beyer Rahns abenteuerliche Vita fort. Sie macht ihn zum Helden einer Erzählung, die sie fein wie Seide um die Geschehnisse des dritten Reiches webt. Und so erleben wir durch die Augen des Außenseiters und Exoten intime Einblicke in den Machtapparat des nationalsozialistischen Deutschlands, die so authentisch, so fundiert geschildert werden, dass dem Leser die Trennung zwischen Fiktion und Fakten zuweilen schwerfällt.
Die Prämisse der Autorin: Rahns historisch überliefertes Ableben war fingiert, nach jahrelangem Exil kehrt der frühere SS-Offizier in die Heimat zurück, um zugleich auf eine atemberaubende Expedition entsandt zu werden. In zahlreichen Rückblenden lässt Beyer Rahns Stationen in den dreißiger Jahren Revue passieren. Wir erleben seinen zunächst fruchtlosen Kampf als Schriftsteller. Wir werden Zeugen seiner schicksalshaften Freundschaft mit Heinrich Himmler, die seinem weiteren Werdegang die entscheidende Kehre gibt. Der Leser beobachtet ebenso die handverlesenen Begegnungen mit Adolf Hitler wie die für Rahn schmerzhaften und erniedrigenden Verhöre durch Gestapo und vergleichbare Organisationen. Neben seinen seelischen sowie sozialen Höhen und Tiefen ist das zentrale Motiv durchgängig die Suche nach den okkulten Wurzeln; nicht nur des Nationalsozialismus, sondern des gesamten abendländischen Erbes. Ein schwer zu fassendes Ur-Geheimnis gilt es zu lösen und Rahns besondere Expertise macht ihn für die Mächtigen zur Schlüsselfigur.
Bis etwa zur Hälfte der über 500 Seiten touchiert die dialog-getriebene Handlung übernatürliche Facetten nur zaghaft. Mit der Reise in die innere Welt – oder auch Hohlerde – ändert sich das drastisch. Auf einmal sind sämtliche Annahmen hinfällig, das Spiel der politischen Kräfte Makulatur, die scheinbar seit Jahrtausenden etablierten Strukturen unserer Spezies stehen zur Disposition. So gravierend diese Zäsur dem Leser auch anmutet, so überraschend unaufgeregt nimmt Rahn sie hin. Und hier gründet sich der einzige fundamentale Kritikpunkt an dem im Übrigen ausgesprochen lesenswerten, aufschlussreichen und unterhaltsamen Werk: Sie bleibt merkwürdig blutleer, diese innere Erde. Viel zu selbstverständlich ja beinahe achselzuckend nehmen die Figuren diese atemberaubenden Wunder zur Kenntnis. Ein Verhalten, dass nur mäßig plausibel erscheint. Aber dieser Makel sei der Autorin verziehen – er ist möglicherweise auf den Umstand zurück zu führen, dass diese phantastischen Elemente nur die Staffage bilden. Im Kern scheint es ihr darum zu gehen, den historischen Nationalsozialismus – und hier allen voran den Menschen Heinrich Himmler – aus einer neuen Perspektive zu beleuchten. Es dreht sich um die spannende Frage, welche Wendung die Weltgeschichte genommen hätte, wenn der zweite Weltkrieg nicht sein bekanntes Ende gefunden hätte. Wäre eine friedliche Völkerordnung denkbar gewesen und unter welchen Voraussetzungen? Welche Rolle hätten mächtige Interessensgruppen gespielt, um eine solche Entwicklung zu verhindern und was wäre ihr Motiv gewesen? Wie würde man in der Gegenwart Akteure wie Himmler bewerten, wenn ihr Wirken in einem anderen Kontext erfolgt wäre?
Wir alle wissen, dass solchen Fragen nachzugehen für jeden Historiker vermintes Gelände ist. Insofern ist die Romanautorin weniger gefährdet. Bewegt sie sich doch ausdrücklich und ausschließlich auf dem Gebiet des Selbstersonnen. Andererseits formulierte der amerikanische Literat und Philosoph Ralph Waldo Emerson bereits im 19. Jahrhundert: „Fiktion enthüllt die Wahrheit, die die Realität verdunkelt.“