Davongekommen – Von den Verteidigern Witebsks zu den Fallschirmjägern in Italien
Autor: Michael P.
Wenn individuelle Erinnerungen verblassen, stirbt das kollektive Gedächtnis eines Volkes. Schlimmer noch, wenn die Deutungshoheit über historische Zusammenhänge sich lediglich im eng gesteckten Rahmen hoheitlicher Zulässigkeit bewegt, zementieren sich fragwürdige Vorstellungen und lückenhafte Wahrheiten in den Köpfen der Spätgeborenen. Umso wertvoller sind authentische Zeitzeugenberichte aus den schicksalhaften Epochen der Deutschen. Einen solchen legt Joachim Will mit „Davongekommen“ vor, welches 2021 in erster Auflage erschienen ist. Seine persönliche Weltkriegserzählung weist dabei zwei Eigenheiten auf, die ihn von anderen Chronisten unterscheidet. Zunächst liegt das ganz profan an Wills Truppenzugehörigkeit. Er war Soldat der deutschen Luftwaffe. Allerdings erlebt er den Krieg sowohl an der Ostfront als auch später in Italien als Infanterist. Mit dem zunehmend ungünstigen Kriegsverlauf stellte das Deutsche Reich mehrere Luftwaffen-Felddivisionen auf, um das geschwächte Heer zu entlasten. Ein Umstand, der heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Wie der Autor aufzeigt, legten diese Männer aber größten Wert auf ihre fliegerische Identität und wehrten sich dagegen, von den „Feldgrauen“ vereinnahmt zu werden. Ihre Tapferkeit hat dies sicher nicht geschmälert. Die zweite Besonderheit des kurzen Buches liegt darin, dass die minutiöse Schilderung von Kampfhandlungen, die bei vergleichbaren Berichten häufig im Fokus steht, hier in den Hintergrund geraten. Vielmehr vermittelt Will dem Leser lebhafte Einblicke vom sonstigen Leben im Kriegsdeutschland. Er skizziert die Zustände in der Etappe und im Lazarett. Lässt uns teilhaben am Heimaturlaub und an anderen heiteren, unbeschwerten Momenten. Viel Raum nehmen abschließend seine zwei Jahre in britischer Kriegsgefangenschaft auf dem afrikanischen Kontinent ein.
„Davongekommen“ ist kein politisches Buch. Der Verfasser führt sehr persönlich und menschlich aus – untermalt von zahlreichen privaten Fotografien. Leider sind diese teils in sehr magerer Auflösung gedrückt. Ein Wermutstropfen in der ansonsten gelungenen Chronik. Ohne weltanschauliche Scheuklappen stellt Will die Begegnungen mit Kriegsgegnern dar. Sowohl von der russischen Zivilbevölkerung, als auch von den Soldaten es British Empire erzählt er mit großer Herzlichkeit. Er begreift es als sein großes Glück, der russischen Gefangenschaft entgangen zu sein. Nach seiner Rückkehr in die Heimat schildert er ergreifend, wie er auf Rückkehrer aus Russland trifft. Das lässt den empfindsamen Leser nicht unberührt. Einerseits der wohlgenährte, braungebrannte Will, der mit seinen Wärtern in aufrechter Freundschaft verbunden bleibt. Auf der anderen Seite die bis zur Unkenntlichkeit ausgemergelten und geschundenen Landser, die noch zu den wenigen Glücklichen zählen, die Stalins Gastfreundschaft überhaupt überlebt haben. Nur wenige Sätze sind es, die hier das unfassbare Leid offenbaren, vor welchem man in der Gegenwart so gerne die Augen verschließt. Alleine dafür gebührt Will Dank!