Areopag II – Der Tribalolibertarismus
Autor: Michael P.
Das ein Diskurs – gar eine Meinungsverschiedenheit – binnen der deutschen Rechten auch auf Augenhöhe und geprägt von gegenseitiger Wertschätzung möglich ist, beweist der jüngst bei Metapol erschienene Areopag II. Für den Schwerpunkt „Tribalolibertarismus“ zeichnet mit Johannes Scharf ein Verfasser verantwortlich, der ebenso für seine streitbaren wie bemerkenswerten Standpunkte bekannt ist. In der Nachfolge der ersten Ausgabe mit dem Thema „Die neue Aristokratie“, welche noch von verschiedenen Autoren gestaltet worden war, widmet sich Scharf einer ungewöhnlichen Perspektive auf die politische Theorie. Bevor er seine titelgebende Neuschöpfung einführt, geht er der Vorstellung des Kontraktualismus auf den Grund. Dieser Vorstellung zufolge legitimiert sich ein Staatswesen ausschließlich über ein Vertragswerk zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv. Dieses kann lediglich angenommen oder tatsächlich schriftlich fixiert sein. Es ist keine im Transzendenten fundierte Ethik religiöser oder philosophischer Natur, welche den Handlungsrahmen des Individuums eingrenzt. Es ist vielmehr die Einsicht darin, dass die Einhaltung des Vertrages mehr Vor- als Nachteile bietet, die eine menschliche Gesellschaft ermöglicht sowie Nihilismus und Anarchie als nicht dauerhaft tragfähig erweist. Mit dem Begriff der Moral als universalem Naturgesetz geht Scharf ins Gericht. Als erklärter Liberaler sieht er darin einen Etikettenschwindel, welcher einer überprüfbaren Grundlage entbehrt und somit ungeeignet ist, die weiteren Überlegungen zu gründen. Neben dem Kontraktualismus setzt Scharf als zweite Säule die Vielfalt der Ethnien, welche es zu schützen gelte, vor der Bedrohung der Massenmigration und Vermischung. Der Bezugsrahmen ist für den Autor zunächst nicht zwingend die Nation, er orientiert sich an dem Konzept der sogenannten freien Privatstädte des deutschen Unternehmers Titus Gebel. Scharf schickt sich an, mit dem Tribalolibertarismus eine politische Theorie zu entwerfen, die dieser Vision den konstitutionellen Unterbau liefern könnte.
Wie sich aus dem Namen erschließt, spielt hier neben der liberalen Idee der Stammescharakter, also ein überschaubarer Bezugsrahmen artverwandter Menschen, eine zentrale Rolle. Die dazugehörige Staatsform bezeichnet ihr Schöpfer als kontraktualistische Konsensdemokratie, welche sich – verkürzt dargestellt – durch den Grundgedanken auszeichnet, dass das weitergehende Interesse einer Minderheit gegenüber dem Votum der Mehrheit von geringerer Tragweite ein Veto innehat. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes beispielsweise wiegt schwerer, als der Wunsch der Frau in Form eines Schwangerschaftsabbruches ihre körperliche Autonomie auszuüben. Gleichwohl herrschen grundsätzlich die Prinzipien des „Nachtwächterstaates“: Die etatistische Involvierung ist reduziert auf das absolute Minimum, es gilt im Wesentlichen eine Willensbildung über Mehrheiten, es existiert eine strenge und tatsächliche Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative, welche durch wirksame Kontrollmechanismen sich wechselseitig ausbalancieren.
Was ist von diesem Vorschlag nun zu halten? Zunächst gelingt es Scharf seine Vorstellungen pointiert und kurzweilig vorzutragen, was bei der anspruchsvollen Materie nicht selbstverständlich ist. Dann muss man ihm zugutehalten, dass er einmal mehr frischen Wind in den Diskurs trägt, in welchem vor allem der Liberalismus in der Regel deutlich negativer gewichtet wird. Kurzum – Scharf scheut sich auch an dieser Stelle nicht vor konfrontativen Positionen und Metapol bietet ihm dafür bereitwillig die Bühne. Das ist umso bemerkenswerter, als dass der Herausgeber Peter Steinborn in seinem Nachwort den inhaltlichen Dissens unumwunden einräumt ohne es aber zu versäumen, seiner Anerkennung für Scharfs Person und Wirken Ausdruck zu verleihen. Eine Gefühlslage, welcher sich der Rezensent gerne anschließt.
Ein weiterer Pluspunkt für den Leser stellen ferner die Begriffserklärungen dar, die wir bereits vom Aeropag I kennen – ein wichtiger Beitrag zum Lernfortschritt und Erkenntnisgewinn. Am Ende ist das Lesevergnügen fast schon etwas zu kurz. So wäre es sicher spannend gewesen, noch weitere Details über die freien Privatstädte zu erfahren. Es bleibt zu hoffen, dass Scharf weiterhin als Schriftsteller so aktiv bleibt und künftig weiter seine Ideen ausbreitet – am besten natürlich bei Metapol.